Zwei Stockholmer Architekten bauten ein Holzhaus, das mit seiner Umgebung verschmilzt und die Natur Norwegens respektiert.
Die Küste von Südnorwegen bietet atemberaubende Naturschauspiele. Mit ihren kleinen Buchten, den unzähligen Inseln und schmalen Fjorden, mit den scheinbar unberührten Wäldern und satten grünen Wiesen sieht diese Landschaft aus, als hätten sich die Felsen vor Urzeiten absichtlich ins Meer gestürzt, um ein Zeichen zu setzen. Wer hier nicht versteht, dass die Menschen auf der Erde nur zu Gast sind, der wird es wahrscheinlich nie begreifen. Die beiden Architekten Erik Kolman und Victor Boye gehören zu denen, die man darüber nicht erst umständlich aufklären muss. Als sie den Auftrag erhielten, in der Nähe der Stadt Grimstad für eine norwegische Familie ein Haus zu bauen, ließen sich die Gründer des Stockholmer Büros Kolman Boye nur von einer Handvoll Direktiven leiten. Erstens: Wie schaffen wir es, auf dem Grundstück möglichst wenig Eingriffe vorzunehmen? Zweitens: Auf welche Weise kommt der landschaftliche Reiz am besten zur Geltung? Und drittens: Welche Materialien verwenden wir, um Ressourcen zu schonen?
Das Haus schmiegt sich in die hügelige Landschaft
Dass dort schon eine Hütte aus den Fünfzigerjahren gestanden hatte, beschleunigte die Baugenehmigung. Aber der Rest war eine Mischung aus minutiös angewandtem räumlichen Denken, Zentimeterarbeit und einer Menge Geduld. „Um keine Felsen abtragen zu müssen, haben wir das Haus um sie herum entworfen“, erklärt Erik Kolman. „Das bedeutete, dass wir das Gelände sehr exakt studiert und vermessen haben. Und dann gelangten wir zu dem Schluss, dass wir das Fundament nicht als waagerechte Fläche planen konnten.“ Nun hat das Haus zwei Teile, die durch einen gläsernen Korridor verbunden sind – im einen befinden sich das Wohnzimmer und die offene Küche, in dem anderen ein Esszimmer, vier Schlafzimmer auf zwei Etagen und ein Bad. Doch das Erdgeschoss besitzt naturgegeben keine ebene Fläche. Es schmiegt sich an den natürlichen Untergrund wie ein großes Kissen. Insgesamt gibt es dort auf ein und derselben Etage fünf verschiedene Ebenen. Mal geht es von einem Zimmer zum nächsten drei Treppenstufen nach oben, mal ebenso viele nach unten.
Die Fassade besteht vollständig aus Holzresten
Außerdem ist das Haus praktisch komplett aus Holz. Das wäre noch nichts Besonderes, viele Häuser hier in der Gegend sind Holzhäuser. Der Clou ist, dass für die Fassade kein einziger Baum gefällt werden musste. Sie besteht vollständig aus den Resten der Dielen- und Parkettproduktion des dänischen Herstellers Dinesen. „Seit wir die Firma im Rahmen eines Studienprojektes der Kopenhagener Kunstakademie näher kennengelernt hatten, überlegten wir, was wir aus dem Verschnitt machen könnten“, sagt Kolman. „Als wir dann diesen Auftrag erhielten, dachten wir: Das ist die Lösung.“ Es folgten „viele, viele, nein: sehr viele Stunden“, in denen Kolman und Boye das Dinesen-Lager nach brauchbaren Hölzern durchsuchten. „Wir beschränkten uns auf Eiche, denn dieses Holz ist besonders hart und daher für eine Fassade gut geeignet“, sagt Kolman. „Es war trotzdem eine sehr aufwändige, zeitintensive Arbeit.“ Am Ende hatten sie 12 000 einzelne Bretter beisammen. Die waren unterschiedlich breit und mussten auf drei verschiedene Längen gesägt werden – auch dies war nur möglich, weil Erik Kolman Architekt ist, aber auch Besitzer einer Schreinerei.
Das Holzhaus befindet sich zwischen Felsen und Bäumen
Die Mühe hat sich ausgezahlt. Der Lohn für die Anstrengung ist die befriedigende Gewissheit, der Umwelt beim Bau dieses Hauses sehr viel weniger genommen zu haben, als es sonst üblich ist. Und noch ein zweiter Effekt stellte sich ein: Die Verwendung des Patchworks von unterschiedlich gefärbten Hölzern wirkt wie eine Camouflage. Die Fassade scheint zwischen den Felsen und den alten Bäumen auf dem Grundstück zu verschwinden. Ein Eindruck, der sich mit der Zeit noch verstärken wird, wenn das Holz durch die Verwitterung mehr und mehr Grautöne annimmt. Und so liegt hier im Alter nicht nur die Kraft. Sondern auch die Schönheit.